Nationalsozialismus

Corps und Nationalsozialismus

Von Wolfgang Wippermann Hildeso-Guestphaliae, Vandaliae Rostock

Vorbemerkung:

1995 war ein Jahr der Gedenktage. Gedacht wurde unter anderem an die Gründung der Bundeswehr vor 40, das Kriegsende vor 50 und den Erlaß der schändlichen Nürnberger Gesetze vor 60 Jahren. Einige Corps – aber leider nicht der Kösener! – erinnerten an die Auflösung des Kösener am 28.9.1935. Dieses Datum darf jedoch nicht isoliert gesehen werden. Es hatte eine Vor- und auch eine Nachgeschichte. Sie soll in der folgenden ganz knappen Zeittafel dokumentiert werden. Weitere Informationen findet man in den Büchern, die in einem kleinen Literaturverzeichnis annotiert und kurz kommentiert werden.

Zeittafel:

1926: Gründung des „Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbundes“ (NDStB), der wegen seines betont anti-bürgerlichen Auftretens bei den Corps zunächst auf Ablehnung stößt.

1928: Der ehemalige Münchner Corpsstudent Baldur v. Schirach übernimmt die Führung des NSDStB und bemüht sich mit wachsendem Erfolg Korporierte für den NSDStB zu gewinnen.

Mai 1930: In der „Deutschen Corpszeitung“ wird eindringlich vor einem parteipolitischen Engagement im allgemeinen, für die NSDAP im besonderen gewarnt.

Januar 1931: Der NS Studentenbund wird gegen den Protest des Kösener Senioren Verbandes (KSC) vom „Allgemeinen Deutschen Waffenring“ als gleichberechtigter Partner anerkannt.

Juli 1931: Nach heftigem Widerstand des alten Vorstandes unter Leitung des CVers Hanns Gierlich, des Hallenser Corpsstudenten Erich Hoffmann und von Hans-Heinrich Schulz Hildeso-Guestphalia Göttingen übernimmt der NSDStB auf dem Grazer Studententag die Führung der „Deutschen Studentenschaft“ (DSt). In seiner Abschiedsrede als Vorsitzender der DSt greift Schulz den NSDStB wegen dessen Totalitätsanspruch scharf an und erklärt unter anderem: „In dem Augenblick, in dem eine politische Partei der Deutschen Studentenschaft ausschließlich ihren Stempel aufdrückt, wird man von einer Deutschen Studentenschaft nicht mehr sprechen können.“

Juli 1932: Auf dem Königsberger Studententag ist die Gleichschaltung der DSt vollzogen. Die Delegierten erscheinen in den Uniformen der NSDAP-Gliederungen. An nahezu allen Universitäten stellt der NSDStB den AStA.

Winter 1932/33: Es kommt vielerorts zu heftigen Protesten vor allem der Corpsstudenten gegen den totalen Machtanspruch des NSDStB, der bei verschiedenen AStA-Wahlen starke Stimmenverluste hinnehmen muß.

30.1.1933: Ernennung Hitlers zum Reichskanzler, was von allen Korporationsverbänden überschwenglich begrüßt wird. An der Zustimmung für Hitler und den Nationalsozialismus ganz allgemein ändert sich in der Folgezeit nicht viel. Negativ empfunden wird von den meisten Corps- und anderen Studenten einmal die Einführung des halbjährigen Arbeitsdienstes vor Beginn des Studiums. Kritisiert wird zweitens der mehr oder minder deutliche Druck, in die SA und SS (zunächst auch noch „Stahlhelm“) einzutreten und neben dem Studium dort Dienst zu tun. Nach der Ermordung des SA-Führers Röhm am 30.6.1934 und nach der Schließung der SA-Hochschulämter im Oktober 1934 sind die Studenten von dieser Verpflichtung wieder befreit. Von vielen Corpsstudenten und anderen Korporierten wird schließlich auch der immer massiver werdende Druck des NSDStB abgelehnt, in diese nationalsozialistische Organisation einzutreten und die Bünder zu verlassen.

März 1933: Das Mensurverbot wird aufgehoben.

20. März 1933: Der Allgemeine Deutsche Waffenring beschließt, „weder Judenstämmige oder jüdisch Versippte noch Freimaurer“ in seinen Reihen zu dulden.

20. Juli 1933: Der Allgemeine Deutsche Waffenring erläßt Ausführungsbestimmungen zu seinem Grundsatzbeschluß vom 20. Mai 1933. Danach sollen gemäß dem „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ vom 7.4.1933 alle „nichtarischen“ Mitglieder ausgeschlossen werden, sofern sie nicht Söhne von Gefallenen waren oder selber während des Ersten Weltkrieges für Deutschland gekämpft haben (sog. Frontkämpferklausel). Außerdem sollten auch solche Mitglieder ausgeschlossen werden, die mit „nichtarischen“ Ehefrauen verheiratet sind. Diese Bestimmung geht über das Gesetz vom 7.4.1933 hinaus. Auch später haben die Nationalsozialisten die „nichtarischen“ Partner in sog. „privilegierten Mischehen“ von den meisten antijüdischen Maßnahmen ausgenommen. Von den 104 (reichs-) deutschen Corps weigern sich nur fünf, ihre „nichtarischen“ und „nichtarisch versippten“ Alten Herren auszuschließen. Es sind dies die Corps Borussia Halle, Vandalla Heidelberg, Rhenania Straßburg zu Marburg, Suevia München und Suevia Tübingen. Rhenania Straßburg zu Marburg begründet dies in einem Telegramm an den Kösener folgendermaßen: „Einziger Straßburger Rhenane, der vor 30 Jahren nichtarische Ehe geschlossen hat, Kriegsteilnehmer, hat Bandniederlegung angeboten. Gesamtes Corps Altherrenschaft wie Aktive, lehnen Angebot einmütig ab. Wer in Krieg und Frieden kameradschaftlich Treue hält, hat Anspruch auf unsere Treue. Wir sind gewillt, hierfür zu kämpfen.“

Frühjahr 1934: In verschiedenen Universitätsstädten kommt es zu Angriffen von Mitgliedern der HJ und der SA auf Korporierte.

Dezember 1934: Auf Betreiben der Deutschen Burschenschaft treten mehrere Verbände aus dem „Allgemeinen Deutschen Waffenring“ aus und gründen den besonders parteikonformen „Völkischen Waffenring“ , der sich für einen völligen Ausschluß aller „Nicht-arier“ , d. h. auch der „Frontkämpfer“ einsetzt.

Januar 1935: Die verbleibenden 13 Verbände, darunter der KSC, gründen die „Gemeinschaft studentischer Verbände“ (GStV) Heinrich Lammers, der Chef der Reichskanzlei und Mitglied von Cheruscia Berlin (später im WSC) wird deren Führer.

12.3.1935: Auf Betreiben von Lammers kommt es zu einer Vereinbarung zwischen dem NSDStB und der GStV, die als „Gesamtvertretung der studentischen Korporationsverbände“ anerkannt wird.

11.4.1935: Der damit desavouierte „Völkische Waffenring“ löst sich auf. Seine Mitglieder, darunter auch die DB, treten der GSTV bei.

21.5.1935: Mitglieder des Corps Saxo-Borussia Heidelberg stören bei einer Übertragung einer Hitler-Rede in einem Heidelberger Lokal.

26.5.1935: Mitglieder des Corps Saxo-Borussia Heidelberg unterhielten sich bei einem Spargelessen in einem Heidelberger Lokal darüber, ob „der Führer Spargel mit Messer, Gabel oder Pfoten“ ißt.

25.6.1935: Der NSDStB beschließt Richtlinien, wonach mindestens drei Angehörige jeder Korporation an einem mehrwöchigen Schulungslager des NSDStB teilnehmen müssen. Jede Korporation solle einen Schulungsleiter ernennen. Damit hätte sich der NSDStB in die inneren Angelegenheiten jeder einzelnen Korporation einmischen und diese unterwandern können.

1.7.1935: Lammers teilt dem NSDStB mit, daß die GStV die Richtlinien ablehnt, weil man eine Zerschlagung der Korporationen „auf kaltem Wege“ befürchte. Der NSDStB sieht in dieser Weigerung einen Affront gegen den Nationalsozialismus generell und entfacht eine erneute Kampagne gegen die Korporierten, wobei die Presse vor allem auf die Heidelberger Spargel-Affäre eingeht und die Korporierten im allgemeinen, die Corpsstudenten im besonderen als „dumm“ und „dekadent“, „bourgeois“ und „reaktionär“ etc. darstellt.

15.7.1935: In dieser Situation mischt sich auch Hitler persönlich ein, indem er sich auf einer Besprechung mit Parteifunktionären für einen „langsamen Tod“ der Korporationen ausspricht. Der NSDStB nimmt diese nicht-publizierte Anweisung Hitlers zum Aniaß, um öffentlich zu erklären, daß es fortan keine Vereinbarung mehr zwischen der Partei und der GStV geben werde.

24.7.1935: Auf Drängen der Deutschen Burschenschaft beschließen alle Verbände der GStV mit Ausnahme des Köseners, des Wingolf und des Wernigeroders Verbandes, alle „Nichtarier“ , d. h. auch die „Frontkämpfer“ auszuschließen. Auch mit dieser Maßnahme, mit dem die GStV ihre absolut pro-nationalsozialistische Einstellung unter Beweis stellen wollte, gebärdete sie sich als radikaler als der NS-Staat selber, denn die sog. Frontkämpferklausel wurde erst nach Erlaß der Nümberger Gesetze vom 15. 9. 1935 beseitigt.

5.9.1935: Da sich schließlich nur noch der Kösener weigert, alle „Nichtarier“, d. h. also auch die „Frontkämpfer“ auszustoßen, wird der Kösener auf Betreiben von Lammers aus der GStV ausgeschlossen. Darauf faßt der Kösener noch am gleichen Tag den Beschluß, alle „Nichtarier“ doch auszuschließen. Einer der Betroffenen, Willy Ritter Liebermann von Wahlendorf hat in seinen Erinnerungen den Ausschluß aus seinem Hamburger Corps folgendermaßen kommentiert: „In diesem Augenblick aber fühlte ich deutlich, daß eine tiefinnere Änderung mit mir vorging, daß eine Hülle von mir abglitt. Ich war kalt und gleichgültig geworden gegen alles, was sich heute deutsch nennt.“

28.9.1935: Der Kösener beschließt die Selbstauflösung. Der WSC und die übrigen Verbände folgen. Einzelne CCs und Altherrenverbände bleiben jedoch noch bestehen.

14.5.1936: Nachdem es noch im WS 1935/36 an mehreren Universitätsorten zu einer Wiederbelebung der Korporationen, vor allem der Corps gekommen war, verbietet Heß allen Parteigenossen die Mitgliedschaft in einer Korporation.

Oktober 1936: In den dem im Prager Exil herausgegebenen „Deutschland-Berichten“ der Sopade wird das bisherige Verhalten der Corps und anderen Verbindungen folgendermaßen beschrieben: „Die studentischen Verbindungen sind noch nicht aufgelöst. (…) Die entschiedensten Gegner der Nazis sind die Korps (sic!) und Burschenschaften. Denn gerade ihre alte Tradition will man treffen und beseitigen. Und in dem Kampf um die Erhaltung dieser Tradition sind sie derart fanatisch, daß sie, wenngleich auch reaktionär, es ablehnen, mit den Nazis irgend etwas zu tun zu haben.“

WS 1937/38: Als das so weit bekannt letzte Corps beendet Obotritia Darmstadt (im WSC) seinen halblegalen Aktivenbetrieb.

1939: Die letzten noch bestehenden AH-Vereine des Kösener werden von der Gestapo aufgelöst.

Seit etwa 1940/41 gelingt es an einigen Universitätsstädten (vor allem Würzburg, Freiburg, Göttingen), die sog. Kameradschaften in verkappte Korporationen umzuwandeln, die u. a. Kneipen und Mensuren (in Würzburg zwischen 1941 und 1945 ca. 700) durchführen.

Fazit:Ablehnung und Anpassung

1935 ist der Kösener nicht von den Nationalsozialisten verboten worden, wie man dies in einigen älteren Publikationen immer noch lesen kann, die der sog. Public Relation dienen sollten, aber eben nicht der historischen Wahrheit entsprachen. Die Corps waren keine Opfer des Nationalsozialismus. Andererseits kann man sie auch nicht, wie dies immer noch in Teilen der Publizistik geschieht, als die Wegbereiter und begeistertsten Anhänger des Nationalsozialismus bezeichnen: Die Geschichte verlief anders und war viel diffiziler als es die „schrecklichen Vereinfacher“ auf beiden Seiten wahrhaben wollen.

Nach anfänglicher wechselseitiger Ablehnung gestalteten sich die Beziehungen zwischen den Corps und dem Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbund sehr eng. Viele Corpsstudenten traten nicht nur in die Partei, sondern auch in den NSDStB ein. Doch dann kam es zu Konflikten, die sich an der Einführung des Arbeitsdienstes für Studenten, der Verpflichtung, an Übungen der SA und SS teilzunehmen, und generell an dem Anspruch des NSDStBs entzündeten, die mächtigste und möglichst auch einzige Vertretung der deutschen Studenten zu sein.

Diese Kritik an einigen Maßnahmen und an einer Institution (des NSDStB) des NS-Staates, die jedoch im polykratischen Dritten Reich über eine untergeordnete Stellung und Funktion verfügte, darf nicht als Zeichen einer allgemeinen Ablehnung des Nationalsozialismus oder gar als politisch motivierter und zielgerichteter Widerstand der Corps gedeutet werden. In der (nicht von den Juden selber, sondern von den Nationalsozialisten und anderen Antisemiten künstiich geschaffenen) „Judenfrage“ zeichneten sich die Corps (und die übrigen Korporationsverbände) sogar durch eine besondere Radikalität aus. Schon 1933 schlossen 99 der insgesamt 104 deutschen Corps auch solche Corpsbrüder aus, die mit einer „Nichtarierin“ verheiratet waren. Diese Maßnahme ging weit über den Rahmen der antisemitischen Gesetze des nationalsozialistischen Unrechtsstaates hinaus, der bis zum Schluß darauf verzichtet hat, alle Beamte zu entlassen, die mit einer „Nichtarierin“ verheiratet waren.

Das allgemeine Verhältnis zwischen Corps und Nationalsozialismus ist also sowohl von Anpassung wie Ablehnung gekennzeichnet. Beides – Anpassung wie Ablehnung führten dann auch zum Untergang des Kösener. Er vollzog sich jedoch nicht an einem Tage, sondern schrittweise in einem längeren Prozeß, dessen wichtigste Stadien noch einmal genannt werden sollen:

Nachdem 1933 und 1934 alle Bestrebungen gescheitert waren, die Corps und die übrigen Korporationen aus- oder gleichzuschalten, versuchte es der NSDStB im Juni 1935 erneut. Die „Gesamtvertretung der studentischen Korporationsverbände“ lehnte jedoch auch jetzt noch jeden Einmischungsversuch des NSDStB in die inneren Angelegenheiten der Korporationen ab. Der NSDStB betrachtete dies als Affront und erneuerte seine Kampagne gegen die Korporationen, wobei er sich der Zustimmung Hitlers sicher war. Um seine nationalsozialistische ,Zuverlässigkeit, unter Beweis zu stellen, beschloß die GStV daraufhin, auch die „militärischen“ Korporierten auszuschließen, die bis dahin aufgrund der NS-Gesetze noch geschätzt waren, weil sie die sog. Frontkämpferklausel in Anspruch nehmen konnten. Da sich der Kösener als einziger Verband weigerte, diesem Beschluß Folge zu leisten, wurde er am 5. 9. 1935 aus dem Gesamtverband der Korporationen ausgeschlossen. Am 28. 9. 1935 löste sich der Kösener dann selber auf, nachdem er schließlich doch noch den Ausschluß aller „nichtarischen“ Corpsstudenten verfügt hatte. Einige CCs (einige hatten sich schon vorher aufgelöst) bestanden jedoch (wie verschiedene Altherrenverbände) noch weiter. Am 14.5.1936 untersagte dann die Partei allen „Parteigenossen“ die Mitgliedschaft in einer Korporation. Dennoch haben einige Corps auch nach diesem Datum ihren Betrieb bis etwa Ende 1937 aufrechterhalten. Spätestens 1939/40 ist es in einigen Universitätsstädten gelungen, die sog. Kameradschaften in verkappten Korporationen umzuwandeln.

Das von Ablehnung und Anpassung gekennzeichnete Verhältnis der Corps zum Nationalsozialismus stellt insgesamt kein Ruhmesblatt in der über 200jährigen Geschichte der deutschen Corps dar. Dennoch oder gerade deshalb müssen wir diese Geschichte kennen und uns zu ihr bekennen. Auch Corpsstudenten sind das, was sie geworden sind.

Kleines kommentiertes Literaturverzeichnis

Nicht berücksichtigt wurden die Werke der corpsstudentischen Geschichtsschreibung wie die Geschichte einzelner Corps, Aufsätze in „Einst und Jetzt“ und der „Deutschen Corpszeitung“ sowie Veröffentlichungen des Instituts für Hochschulkunde an der Universität Würzburg. Damit ist keinerlei Wertung verbunden. Besondere Beachtung verdienen: Institut für Hochschulkunde (Hrsg.) Studentenschaft und Korporationswesen an der Universität Würzburg, Würzburg 1982 und: Friedhelm Golücke (Hrsg.), Korporationen und Nationalsozialismus, Schernfeld o. J. (1989).

Hans-Peter Bleuel / Ernst Klinnert, Deutsche Studenten auf dem Weg ins Dritte Reich. Ideologien – Programme -Aktionen 1918-1935, Gütersloh 1967

Angeregt wurden die Verfasser durch Vorlesungsreihen, die damals, d. h. 1966/67 an verschiedenen Universitäten durchgeführt wurden und auf denen zum ersten Mal (!) das Verhalten von Professoren und Studenten vor und während des Dritten Reiches thematisiert wurde. Das Buch dieser beiden Journalisten ist auch das erste zum Thema. Dabei haben sich Bleiel und Klinnert fast völlig auf das Verhalten der damaligen Korporationen konzentriert, das anhand der Verbändepublizistik rekonstruiert und – insgesamt noch zurückhaltend – kritisiert wird. Die Politik des Nationalsozialistischen Studentenbundes und die Sozialgeschichte der gesamten Studentenschaft werden dagegen nur unzureichend analysiert. Dennoch hat das Buch seinen Wert nicht verloren, eben weil es interessante Informationen über die Handlungen und Gedanken vornehmlich der Korporierten enthält.

Anselm Faust, Der Nationalsozialistische Deutsche Studentenbund. Studenten und Nationalsozialismus in der Weimarer Republik, Bd. 1-2, Düsseldorf 1973

Das Buch ist aus einer Dissertation im Fach Geschichte hervorgegangen. Es basiert auf umfangreichen publizistischen und archivalischen Quellen zur Geschichte des Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbundes. Dabei weist Faust nach, daß diese nationalsozialistische Organisation eine keineswegs geradlinige und von Kompetenzstreitigkeiten geprägte Politik betrieben hat. Da die Darstellung 1935 mit der Ausschaltung der Korporationen abbricht, wird nicht deutlich, welche Bedeutung der NSDStB im weiteren Verlauf der Geschichte des Dritten Reiches unter Leitung des „Reichsstudentenführers“ Gustav Adolf Scheel gewonnen hat. Das Verhalten der Korporationen wird von Faust keineswegs gerechtfertigt, aber insofern relativiert, weil nicht sie (wie bei Bleuel und Klinnert), sondern der NSDStB als treibende politische Kraft dargestellt wird. Genau wie Bleuel/Klinnert und die Verfasser der weiteren Arbeiten differenziert Faust jedoch nicht genug zwischen den einzelnen Korporationsverbänden, die ihrer Geschichte und Tradition gemäß in den 30er Jahren eine unterschiedliche Politik betrieben haben. Dies gilt insbesondere für die Deutsche Burschenschaft als größtem und am meisten politisierten Verband auf der einen, dem Kösener auf der anderen Seite, der wegen seiner zurückhaltenderen Einstellung von der DB kritisiert, wegen seiner älteren Tradition und seines besseren Ansehens jedoch insgeheim beneidet wurde.

Michael H. Kater, Studentenschaft und Rechtsradikalismus in Deutschland 1918-1933. Eine sozialgeschichtliche Studie zur Bildungskrise in der Weimarer Republik, Hamburg 1975

Dieses Buch des deutsch-kanadischen Historikers und angesehenen NS-Historikers ist, wie der Untertitel sagt, eine sozialgeschichtliche Studie zur Herkunft und materiellen Situation der damaligen Studenten, die (bzw. deren Eltern) von den wirtschaftlichen Folgen des Krieges, der Inflation und der durch die Wirtschaftskrise bedingten Akademikerarbeitslosigkeit betroffen waren und sich auch deshalb als äußerst empfänglich für die Propaganda der damaligen Rechtsradikalen im allgemeinen, der NSDAP im besonderen zeigten, was Kater scharf kritisiert, aber mit seiner sozialgeschlchtlichen Methode kaum erklären kann. Völlig unsinnig ist sein Versuch, die historisch und ideologisch bedingten Unterschiede zwischen den einzelnen Korporationsverbänden -Corps, Burschenschaften, Landsmannschaften, konfessionelle Verbände – auf soziale Faktoren zurückzuführen, wonach die Corpsstudenten alle reich, die CVer etc. alle arm gewesen seien.

Interessanterweise hat Kater sein negatives Urteil in einem weiteren Aufsatz (Michael Kater, Professoren und Studenten im Dritten Reich, in: Archiv für Kulturgeschichte, 67, 1985, 5. 465-487) völlig relativiert und behauptet, daß die deutschen Studenten „zwischen 1933 und 1945… zu Hitlers kompromisslosesten Gegnern“ geworden seien.

Geoffrey J. Giles, Students and Nationals Socialism in Germany, Princeton 1985

Dieser in Amerika lehrende englische Historiker ist durch verschiedene Arbeiten zur deutschen Universitätsgeschichte ausgewiesen. Sein Buch ist zwar ebenfalls sozialgeschichtiich orientiert, berücksichtigt aber auch ideen- und mentalitätsgeschichtliche Faktoren. Seine Beurteilung des politischen Verhaltens der Studenten im Dritten Reich fällt sehr kritisch aus. Es habe, so Giles, eine „allgemeine Apathie“ geherrscht. Leider ist diese wichtige Studie nicht ins Deutsche übersetzt worden.

R. G. 5. Weber, The German Student Corps in the Third Reich, London 1986

Dieses Buch gehört eigentlich schon in den Bereich der corpsstudentischen Ge- schichtsschreibung. So positiv beurteilt der Autor das Verhalten der damaligen Corps. Teilweise geht er dabei jedoch zu weit. So etwa, wenn er die Versuche, die Kameradschaften zu verkappten Korporationen umzuwandeln als Akte des „Widerstandes“ bezeichnet. Dennoch ist Grüttners (s. u.) scharfes Verdikt dieses Buches nicht berechtigt. Einen „völligen Mangel an Quellenkritik“ (Grüttner, Studenten, 5. 408) kann man Weber nicht vorwerfen. In Kürze erscheint eine deutsche Übersetzung.

Ludwig Elm / Dietrich Heither / Gerhard Schäfer (Hrsg.), Füxe, Burschen, Alte Herren. Studentische Korporationen vom Wartburgfest bis heute, Köln 1992

Die Verfasser dieses Sammelbandes gehörten mit wenigen Ausnahmen der früheren DKP und der untergegangenen SED an. Ihre parteipolitische Zugehörigkeit hat sich auf ihre absolute Verurteilung des Verhaltens der damaligen und heutigen Korporierten ausgewirkt. Dabei haben sie sich fast ausschließlich auf die Sekundärliteratur gestützt, die noch dazu sehr selektiv ausgewertet wurde. Eigenständige Quellenstudien fehlen so gut wie ganz. Insgesamt stellt dies in der Öffentlichkeit viel beachtete Elaborat eine krude Mischung aus politischen Schuldzuweisungen einerseits, einigen sehr verkürzten sozialgeschichtlichen Angaben über die Lage und Herkunft der Korporierten andererseits dar. Schon unfreiwillig komisch sind die psychologisierenden Spekulationen über die angeblich zutiefst frauenfeindliche Einstellung der Mitglieder studentischer Korporationen. Diese Leute sollten einmal ,vor ihrer eigenen Tür kehren,.

Michael Grüttner, Studenten im Dritten Reich, Paderborn 1995

Dieses umfangreiche (556 Seiten starke) Buch, das aus einer Habil.-Schrift an der TU Berlin hervorgegangen ist, kann als das Standardwerk zum Thema gelten. Besonders bemerkenswert sind die sozialgeschichtlichen Angaben zur Herkunft und sozialen Lage der damaligen Studenten und Studentinnen, deren prozentualer Anteil an der Gesamtstudentenschaft übrigens stieg und nicht, wie häufig angenommen wurde, fiel. Gut und differenziert ist auch die Beschreibung der weiteren (von Faust vernachlässigten) Geschichte des NS Studentenbundes (und seines weiblichen ,Ablegers, „Die Arbeitsgemeinschaft Nationalsozialistischer Studentinnen“ ANSt), der unter der Leitung des „Reichsstudentenführers“ (und „Höheren SS- und Polizeiführers“) Gustav Adolf Scheel nach der Auflösung der Korporationen an Macht und Einfluß gewann. Etwas sehr knapp und undifferenziert wird das Verhalten der Korporierten im NS-Staat dargestellt und beurteilt. Auf die Versuche gerade von Angehörigen von Corps 1930/31, die „Machtergreifung“ des NS Studentenbundes in der Deutschen Studentenschaft zu verhindern, geht der Autor überhaupt nicht ein. Auch im weiteren Verlauf der quellengesättigten Darstellung des sehr diffizilen Verhältnisses zwischen den Korporationen und dem NSDStB werden die Unterschiede zwischen der DB einerseits, dem Kösener andererseits zu wenig beachtet. Im abschließenden Kapitel über „Opposition in der Studentenschaft“ würdigt der Autor die wenigen studentischen Widerstandsgruppen wie „Die Weiße Rose“, charakterisiert das allgemeine Verhalten der Studenten jedoch als unpolitisch und „apathisch“. Das so wörtlich, „Wiederaufleben der studentischen Corps im Kameradschaftsgewand“ wertet Grüttner im Unterschied zu Weber nicht als Akte eines politisch motivierten und zielgerichteten Widerstandes (5. 408). Dies ist berechtigt, wenn man wie Grüttner von einem engeren Widerstandsbegriff ausgeht. Geht man jedoch, wie dies in Teilen der allgemeinen Widerstandsforschung getan worden ist, von einem weiteren, auch Akte der Verweigerung, „Resistenz“ und „Opposition“ umfassenden Widerstandsbegriff aus, so kann man zu einem anderen Urteil gelangen. Dies deutet auch der Autor selber an, wenn er das „Wiederaufleben der studentischen Corps im Kameradschaftsgewand“ folgendermaßen beurteilt: „Sicher artikuliert sich in dieser Entwicklung ein gewisser Überdruss am traditionellen Kameradschaftsbetrieb, vielleicht auch die Freude am klandestinen Spiel mit dem Feuer, jedenfalls ein gewisser Oppositionsgeist.“ (5. 409)

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